Jaguar XJ220: Das Freizeit-Projekt
Es war eine Gruppe von Jaguar-Ingenieuren und -Designern, die in ihrer Freizeit einen Supersportwagen entwickelten. Das Resultat erblickte die Öffentlichkeit an der British Motor Show in Birmingham 1988: eine lange, rundliche Flunder, ganz anders als der damals gehypte Ferrari F40. Hinter dem Cockpit des XJ220 genannten Prototypen schlummerte ein V12-Motor, der alle vier Räder antrieb. Jaguar-Chef John Egan kündigte eine Kleinserie von 350 Exemplaren an. Das Interesse war riesig, viele Kaufinteressenten rechneten mit einer attraktiven Geldanlage. Ferrari und Porsche hatten bereits Sportwagen wie den 288 GTO, den F40 oder den 959 in limitierter Auflage auf den Markt gebracht, die dank grosser medialer Aufmerksamkeit sofort zu Klassikern wurden. Für den XJ220 gingen 1200 Bestellungen ein, obwohl bereits die nötige Anzahlung 50’000 Pfund betrug. Ein Genfer Interessent schickte seinen Scheck gar per Taxi nach Safenwil, um sein Fahrzeug rechtzeitig reservieren zu können.
Werksbesuch
Die Produktion übergab Jaguar an Tom Walkinshaw, der damals gerade zweimal die Sportwagen-Weltmeisterschaft für Jaguar gewonnen hatte. Für die Serienproduktion wechselten die Ingenieure das Herz des Prototypen aus: Statt des lauten V12-Motor einen V6-Biturbo, statt Allrad- gab es konventionellen Hinterradantrieb, was dem Gewicht enorm zu Gute kam. Der Jaguar Driver’s Club Switzerland besuchte im Sommer 1991 die Fertigungshallen im englischen Bloxhham. Dort konnten sie das ultraleichte, tragende Chassis des XJ220 bewundern, das aus zwei grossen Längsträgern besteht, die durch den Kabinenboden, die Kabinenrückwand und einen massiven Querträger vorne verbunden sind. Die sichtbare Karosserie besteht aus Alu-Teilen. Den Clubmitgliedern gelangen viele Bilder des Produktionsprozesses, die man daraufhin in der Clubzeitschrift publizierte – nicht gerade zur Freude von Jaguar.
Rennwagen für die Strasse
Als Testfahrer Andy Wallace 1991 das Serienmodell ausprobierte, erreicht er immer noch knapp 350 km/h, also jene 220 Meilen pro Stunde, die es im Modellnamen trug. Das war damals Weltrekord. Bei Vollbremsungen aus über 320 km/h habe der XJ220 noch eine unglaubliche Spurtreue, wie er es sonst nur von Rennwagen kenne, berichtete Wallace. Ein Jahr nach dem Besuch des Schweizer Jaguar-Clubs in England begann die Auslieferung. Der Kaufpreis stieg bis zur Auslieferung auf rund eine Million Schweizer Franken. Dafür erhielten man einen 543 PS starken Rennwagen für die Strasse, selten, unglaublich schnell und enorm aufwändig in Handarbeit hergestellt. Das Werk im englischen Bloxham verliessen letztlich aber nur 281 Exemplare, weil sich die Wirtschaft abgekühlt hatte, sodass viele Interessenten auf den Kauf verzichteten.
Spezifisches Fachwissen weitergeben
Von den rund 80 Schweizer Bewerbern für einen XJ220 wurden 21 ausgewählt, was sehr viel war, denn nach Deutschland lieferte Jaguar nur 34 Fahrzeuge, nach Österreich gar nur 3. Die Nr. 035 kam als Neuwagen in die Emil-Frey-Sammlung. Nach einigen Jahren Standzeit unterziehen ihn die Michel Tinguely und Guido Steigmeyer nun einer technischen Revision. Dank ihrer langjährigen Tätigkeit bei Jaguar in der Emil Frey Gruppe verfügen sie über das nötige Spezialwissen, um diesen Rennwagen für die Strasse zu warten. Ihre Fachkompetenz geben sie nun unseren Mechanikern in der Emil-Frey-Classics-Werkstatt weiter.
Bilder: Emil Frey Classics Archiv
Was sagen unsere Spezialisten dazu? - Ein Interview mit Michel Tinguely und Guido Steigmeyer
Die pensionierten Jaguar Land Rover-Mitarbeiter Guido Steigmeyer und Michel Tinguely absolvierten vor 32 Jahren bei JaguarSport in England die technische Schulung am Jaguar XJ220. Nun überholen Sie den XJ220 aus der Emil Frey-Sammlung und sorgen dafür, dass dieses Wissen in der Emil Frey-Classics Werkstatt erhalten bleibt.
Die Fachmänner: Michel Tinguely, Manuel de Gregorio und Guido Steigmeyer (v.l.)
Wie lief die Schulung damals ab?
Guido Steigmeyer: Wir konnten die Teile direkt während der Produktion studieren, hatten also bestes Anschauungsmaterial, dazu machten wir Fotos und Notizen. Die nachgelieferten Werkstatthandbücher waren eher rudimentär, die persönliche Erfahrung deshalb umso wichtiger. Heute wieder an diesem Auto zu arbeiten, ist für uns eine interessante Herausforderung, die Spass macht.
Was ist das Besondere bei der Instandhaltung eines Jaguar XJ220?
Guido Steigmeyer: Es dauert lange, das ganze Antriebsaggregat auszubauen. Das sieht einfacher aus, als es ist. Eine Herausforderung ist dann der Wechsel der Zahnriemen. Gerade bei Fahrzeugen, die lange nicht gefahren wurden, ist so ein Service eine Gratwanderung: Was wechselt man, was nicht? Die Gefahr ist natürlich immer, dass dann alte Komponenten nach dem Zusammenbau ihren Dienst versagen.
Michel Tinguely: Nach sechs Jahren muss man den Kunststofftank mit seinen elf Schaumgummi-Einlagen das erste Mal ersetzen, da sich diese sonst auflösen. Die erste Herausforderung war aber, einen brauchbaren Computer für das Test-Programm auf der Diskette zu finden. Zum Glück hatte Guido noch einen alten Laptop mit den nötigen Anschlüssen für das Steuergerät. Jetzt geht es darum, diese Soft- und Hardware für die Zukunft zu sichern.
Wie ist Ersatzteilversorgung für den XJ220?
Guido Steigmeyer: Die Ersatzteilversorgung ist grundsätzlich gut, gewisse Komponenten wie der Tank werden sogar nachproduziert. Glücklicherweise sind auch die passenden Bridgestone-Reifen wieder erhältlich. Teilweise ist die Lieferfrist aber lang.
Was macht Emil Frey Classics, damit Wartung und Reparatur dieses Supercars in Zukunft gewährleistet ist?
Michel Tinguely: Wir werden nun noch einige Kunden-Fahrzeuge in Angriff nehmen. Das Ziel ist, dass die Emil Frey Classics-Mechaniker das spezifische Wissen von uns lernen. Wir erleben Sie als sehr motiviert. Gleichzeitig dokumentieren wir alle Arbeitsschritte akribisch, damit dieses Fachwissen langfristig erhalten bleibt.